Wenn Religion zur Waffe wird – warum Trumps „Schutz der Christen“ hochgefährlich ist
Was derzeit in den USA geschieht, ist weit mehr als eine politische Randnotiz. Es ist ein gefährlicher Kurswechsel – nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern auch für Demokratien weltweit. Donald Trump ruft unter dem Vorwand des „Schutzes vor antichristlicher Diskriminierung“ eine religiöse Taskforce ins Leben – und viele jubeln.
Doch was hier als Schutzmaßnahme verkauft wird, ist in Wahrheit ein Angriff auf die Trennung von Kirche und Staat. Es ist der Beginn eines autoritären Projekts mit religiöser Tarnkappe – und der nächste Schritt in Richtung eines christlich-fundamentalistischen Umbaus Amerikas.
Was ist geschehen?
Präsident Trump hat nun eine sogenannte Taskforce gegen „antichristliche Voreingenommenheit“ angekündigt – geleitet von Justizministerin Pam Bondi, flankiert von rechten Medien und religiösen Hardlinern. Ziel: Christen sollen vor Diskriminierung geschützt werden. Genannt werden Beispiele wie Einschränkungen bei Abtreibungskritik, religiöse Einwände gegen LGBTQ+-Rechte oder Impfpflichten.
Doch unter dem Deckmantel des Schutzes wird hier die christliche Rechte als Opfer inszeniert – und genau das ist der perfide Trick: Eine privilegierte Mehrheit erklärt sich zur verfolgten Minderheit, um politische Sonderrechte durchzusetzen. Diese Strategie ist nicht neu. Aber diesmal ist sie gefährlicher denn je – weil sie mit religiösem Absolutheitsanspruch aufgeladen wird.
Christlicher Nationalismus im Anmarsch
Was Trump hier vorantreibt, ist kein harmloser Kulturkampf – es ist die gezielte Mobilisierung einer christlich-nationalistischen Bewegung, die Politik mit Religion verschmelzen will. Die sogenannte Religionsfreiheit dient dabei als Rammbock für eine reaktionäre Agenda: Einschränkung reproduktiver Rechte, Ablehnung wissenschaftlicher Standards, Kampf gegen queere Sichtbarkeit und ein Umbau der Justiz nach biblischen Maßstäben.
Das ist keine Verteidigung der Religionsfreiheit – das ist Machtpolitik mit Heiligenschein.
Ein Blick in die Geschichte: Wenn Glaube herrscht
Die Trennung von Staat und Kirche wurde nicht eingeführt, weil man Religion abschaffen wollte. Sondern weil man wusste, was passiert, wenn Religion zur Staatsdoktrin wird. Europa ist voll von Beispielen: Inquisition, Kreuzzüge, Bluthochzeiten, Dreißigjähriger Krieg. Das alles geschah im Namen des Glaubens – legitimiert von Kanzeln, gesegnet von Königen, durchgesetzt mit Feuer und Schwert.
Erst mit der Aufklärung wurde verstanden: Freiheit gedeiht nur, wenn der Staat sich nicht in Glaubensfragen einmischt – und Religion sich nicht ins Gesetz schreibt.
Die dunkle Parallele: Islamismus als Spiegelbild
Wer heute den christlichen Nationalismus in den USA als „kulturellen Selbstschutz“ verniedlicht, sollte einen Blick nach Iran, Afghanistan oder Saudi-Arabien werfen. Auch dort begann alles mit dem Ruf nach „Gottes Ordnung“, nach dem Schutz „religiöser Werte“ gegen einen angeblich gottlosen Staat. Heute sehen wir die Folgen: Entrechtung von Frauen, Verfolgung Andersdenkender, religiöse Gewalt, geistige Erstarrung.
Strukturell ist das identisch mit dem, was Trump und seine Unterstützer nun in christlichem Gewand versuchen:
Ein exklusives Wahrheitsverständnis.
Ein religiös definierter Staat.
Misstrauen gegenüber Wissenschaft, Kunst, Pluralismus.
Feindbilder, die sich perfekt zur Mobilisierung eignen: LGBTQ+, Feminismus, kritische Medien, „Globalisten“.
Wenn wir so scharf den islamischen Fundamentalismus kritisieren – dann müssen wir auch vor dem christlichen Fundamentalismus in unserer eigenen Kultur die Augen offen halten. Sonst kämpfen wir nicht für Freiheit, sondern nur für unsere eigene Variante von Dominanz.
Auf dem Weg in den neuen Glaubenskrieg?
Das mag drastisch klingen – ist aber bitter realistisch. Wenn Gesetze sich wieder an Bibelstellen orientieren sollen, wenn Richter:innen nach religiösem Gusto entscheiden, wenn politische Gegner als „teuflisch“ oder „gottlos“ gebrandmarkt werden – dann ist die Schwelle zur religiösen Radikalisierung überschritten. Dann werden Wahlkämpfe zu Kreuzzügen. Und dann steht nicht mehr das beste Argument im Raum, sondern das „wahre“ – im Namen Gottes.
Die evangelikale Bewegung in den USA ist längst nicht mehr einfach nur ein harmloser Bibelkreis. Sie ist ein hochvernetzter, finanzstarker politischer Apparat mit einer klaren Mission: Aus einer pluralistischen Demokratie ein christlich geprägtes Gottesreich zu machen – mit Geboten statt Gesetzen, Dogmen statt Diskurs.
Was das für Europa bedeutet
Auch in Europa wächst der Einfluss christlich-fundamentalistischer Strömungen – oft mit kräftiger Unterstützung aus den USA. Evangelikale Netzwerke, sogenannte Freikirchen und Bewegungen, die inhaltlich eng an die amerikanische Rechte angebunden sind, verschmelzen Glaube und Politik. Und das geschieht nicht im Stillen: In Predigten, auf YouTube, in öffentlichen Aufrufen wird ganz offen zur Unterstützung rechter Parteien aufgerufen – nicht aus theologischer Überzeugung, sondern aus ideologischer Nähe.
Was da gepredigt wird, klingt nicht nach Seelsorge, sondern nach Kulturkampf. „Christen als letzte Bastion der Werte“, „unsere Kultur vor dem Untergang“ – das ist kein frommer Alarmruf, sondern gezieltes Framing. Die religiöse Sprache tarnt eine politische Agenda. Und genau wie in den USA geht es dabei nicht um Schutz – sondern um Einfluss, Kontrolle, Macht.
Die Begeisterung für Trumps jüngste Maßnahmen zeigt sich auch hierzulande – vor allem in den Kommentarspalten: Applaus für die vermeintliche „Rückkehr zu christlichen Werten“, Beifall für einen Präsidenten, der Religion als Waffe gegen politische Gegner einsetzt. Dass damit die Trennung von Kirche und Staat aufgehoben wird, scheint kaum jemanden zu stören – oder ist sogar gewollt.
Dieses Denken fällt bei Europas Rechten auf fruchtbaren Boden. Der Nährboden für religiös-nationalistische Politik wurde längst bereitet. Seit Jahren wird ein vermeintlicher „Bevölkerungsaustausch“ beschworen – eine Verschwörungserzählung, in der Eliten, Migranten und Muslime zu einer geheimen Allianz stilisiert werden. Wer dabei von „Eliten“ spricht, meint oft antisemitisch codiert: Juden. Es ist die alte Erzählung vom „fremdgesteuerten Umsturz“, neu verpackt für das 21. Jahrhundert.
Gleichzeitig wird der Islam systematisch dämonisiert: Nicht als Religion, sondern als monolithischer Feind. Gewalttaten Einzelner werden kollektiv auf alle Muslime übertragen, um Angst zu schüren und den eigenen Kulturkampf zu rechtfertigen. Was als Schutz der christlichen Identität daherkommt, ist nichts anderes als autoritäre Selbstermächtigung.
Und hier wird’s brandgefährlich: Während islamistischer Fundamentalismus zu Recht kritisiert wird, kopieren rechte Christen genau diese Muster – nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Der Wunsch nach einem religiös geprägten Staat, die Ablehnung pluralistischer Gesellschaften, das Feindbild „westlicher Werteverfall“ – das ist kein Gegenentwurf, sondern das Spiegelbild.
Wir sollten diese Parallelen nicht länger ignorieren. Es braucht keine dystopischen Visionen – die Realität reicht. Die Netzwerke sind aktiv, die Sprache ist radikalisiert, die Strategie ist erprobt. Es ist nicht mehr nur die Frage, ob religiöser Extremismus politisch wird. Er ist es längst.
Fazit: Wachsamkeit ist Pflicht
Trumps „Taskforce gegen antichristliche Diskriminierung“ ist keine Schutzmaßnahme. Sie ist ein Vorwand. Ein trojanisches Pferd. Unter dem Deckmantel religiöser Fürsorge wird hier ein Projekt angestoßen, das die Grundlagen demokratischer Ordnung unterwandert – und das weltweit Schule machen könnte.
Wer seit Jahren die Entwicklung evangelikaler Bewegungen in Europa beobachtet, weiß: Der Boden ist längst bereitet. Als jemand, der diese Szene seit über 30 Jahren kritisch verfolgt – mit direktem Einblick in Gemeinden, Predigten, Netzwerke – sehe ich, wie religiöse Rhetorik gezielt mit politischer Ideologie verknüpft wird. Das ist kein Randphänomen mehr. Das ist strategisch. Organisiert. Und gefährlich.
Was in den USA passiert, wird hier nicht nur bejubelt – es wird übernommen. Die Logik ist dieselbe: Angst schüren. Identität beschwören. Pluralismus als Bedrohung darstellen. Und unter dem Banner des Glaubens politische Macht beanspruchen.
Wir dürfen das nicht verharmlosen. Nicht abwarten. Und schon gar nicht applaudieren. Denn wenn Religion zur Waffe wird, trifft sie früher oder später alle – auch die, die heute noch in der ersten Reihe jubeln.
Wachsamkeit bedeutet, die Parallelen zu erkennen – und sie zu benennen. Es braucht klare Worte. Eine klare Haltung. Und den Mut, auch den eigenen Glauben kritisch zu hinterfragen, wenn er instrumentalisiert wird.
Wer die Geschichte kennt, weiß, wohin das führt.
Bild: „Zwischen Kitsch, Kommerz und Kult – die neue Bibel-Edition fürs rechte Amerika.“
Nebst den klassischen Bibel-Texten enthält das Buch auch die Lyrics zu Lee Greenwoods Lied «God Bless the USA»
Quelle: godblesstheusabible.com
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