Schau her, Donald – so geht Politik


Politik war einmal die Kunst des Möglichen. Heute ist sie oft die Kunst der Lauten, der Lügner, der Leichtsinnigen. Wer am schrillsten brüllt, dominiert die Schlagzeilen. Wer am meisten spaltet, erntet die Reichweite. Zwischen Empörungswellen und Algorithmusgeschrei wirkt leise Klarheit beinahe wie Schwäche.


Aber genau deshalb lohnt es sich, hinzusehen, wenn jemand wie Kamala Harris das Wort ergreift – nicht, weil sie perfekt wäre, sondern weil sie in einer politischen Zeit der Hysterie an etwas erinnert, das wir fast vergessen haben: Haltung.


Am 30. April 2025, bei der Gala von Emerge America in San Francisco, hielt sie eine Rede, die nicht nur auffiel, sondern nachhallte. Kein Trommelwirbel, keine Pathos-Parade. Stattdessen: ein stiller Paukenschlag.



Der Anlass – und warum er zählt


Hundert Tage Trump 2.0. Hundert Tage Project 2025 – der ultrakonservative Umbauplan für Amerika. Gerichte, Verwaltung, Medien, Bildung: gleichgeschaltet, politisiert, instrumentalisiert. In dieser Atmosphäre trat Harris nicht als Präsidentschaftskandidatin auf. Sie sprach als Demokratin. Als Staatsfrau. Als Bürgerin.


Der Rahmen: eine Gala der Organisation Emerge America, die seit Jahren Frauen dazu ermutigt, in politische Ämter zu gehen. Doch an diesem Abend ging es um mehr als Empowerment. Es ging ums Ganze.


Die Rede – ein Gegenentwurf zur Angstpolitik


„In den letzten 100 Tagen“, sagte sie, „haben wir gesehen, wie gefährlich Macht in den falschen Händen sein kann.“ Keine Effekthascherei. Keine dramaturgischen Tricks. Nur klare Worte – leise gesprochen, aber mit Wucht.


Kamala Harris zeichnete kein düsteres Weltuntergangsszenario. Aber sie nannte Ross und Reiter. Sie sprach von einem „organisierten Angriff auf unsere Verfassung, unsere Freiheiten und unser kollektives Gedächtnis“. Sie sprach von systematischem Rückbau: von der Justiz über Umweltbehörden bis hin zur Bildung – „ein Projekt gegen die Wahrheit“, wie sie sagte, in direktem Bezug auf Project 2025.


Doch statt in Alarmismus zu verfallen, beschrieb sie die Mechanik des Angriffs: eine Politik, die sich „an der Angst nährt – und Chaos als Mittel einsetzt, um Macht zu erhalten“. Die Angst als Werkzeug – nicht zur Sicherheit, sondern zur Kontrolle.


Dann sprach sie über ein Video: Elefanten im Zoo, bei einem Erdbeben. Sie rückten zusammen. Eng. Instinktiv. Ohne zu wissen, was passiert – aber wissend, dass sie einander haben. „Sie kannten das Beben nicht. Aber sie kannten einander.“


Ein Bild, das mehr sagt als jede Parole. Gegen die atomisierte, misstrauische Gesellschaft, die Trump mit jeder Rede befeuert, stellt Harris ein Gegenmodell: Zusammenhalt ohne Idealisierung. Einfach Menschlichkeit. Keine Utopie. Nur das Minimum – aber dieses Minimum ist heute fast schon revolutionär.


Später sprach sie die wirtschaftlichen Folgen der Trump-Zölle an: gestiegene Preise, verunsicherte Unternehmen, stagnierende Investitionen, Verluste bei Altersvorsorge und Beschäftigung. Kein Zahlenfriedhof – sondern: „Die Armen kämpfen ums Überleben. Und die Regierung feiert sich selbst.“


Aber am eindringlichsten war sie, als sie uns direkt ansprach. „Angst ist ansteckend“, sagte sie, „aber Mut ist es auch.“ Dann wiederholte sie den Satz: „Mut ist ansteckend.“ Drei Mal. Nicht als Slogan – als Einladung. Als Appell.


Die Passage im Original:


„Sie setzen darauf, dass Angst ansteckend ist. Aber was sie übersehen: Angst ist nicht das Einzige, was sich verbreiten kann. Mut ist ansteckend. Mut ist ansteckend.“


Sie sprach von Amerikanerinnen und Amerikanern, die sich zusammenschließen, um Sozialleistungen zu verteidigen, Gerichtsentscheidungen einzufordern, verschwundene Bürgerinnen und Bürger nicht zu vergessen – „es ist nicht in Ordnung, amerikanische Staatsbürger oder irgendjemanden ohne rechtsstaatliches Verfahren festzuhalten und verschwinden zu lassen.“


Diese Rede war nicht defensiv. Sie war wachsam. Nicht gegen Trump gerichtet – sondern für etwas: für eine republikanische Demokratie, die gerade versucht, sich zu erinnern, wer sie einmal war.



Die Kritik – sachlich, aber scharf


Kamala Harris nennt die Dinge beim Namen – nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern mit glasklarem Blick:


Trump ersetzt Expertise durch Loyalität, Wahrheit durch Narrative, Justiz durch Gefolgsleute. Seine Politik funktioniert wie eine Maschine: Sie produziert Dauerkrisen, um Dauerherrschaft zu rechtfertigen. Seine Medienangriffe zielen nicht auf Meinungen – sondern auf den Begriff von Realität selbst.


Er destabilisiert das Land sozial wie wirtschaftlich: Zölle, Entlassungen, Rückschritte im Klimaschutz, Hass gegen Minderheiten, politische Säuberungen. Und all das verpackt in einem Bild von “Stärke”, das nichts als Revanchephantasie ist.



Die Stärke – nicht Lautstärke


Was Harris besonders macht: Sie schreit nicht gegen den Lärm. Sie antwortet nicht mit Getöse auf Getöse. Stattdessen: Haltung.


Ihr Satz „Mut ist ansteckend. So wie Angst – aber Mut hat Geschichte geschrieben“ ist kein Wahlkampfspruch. Es ist ein Brennglas. Eine Erinnerung. Eine Herausforderung. Sie bleibt staatsmännisch, wo Trump kleinlich ist. Und sie macht Mut, ohne sich als Heldin zu inszenieren.



Das Fazit – und ein Blick auf uns selbst


Diese Rede war kein politisches Spektakel. Kein medial kalkulierter Move. Sie war ein stiller Weckruf. Eine Einladung, Politik wieder zu denken – nicht als Dauererregung, sondern als Dienst.


Sie stellt die Frage, die wir uns alle stellen sollten: Was erwarten wir eigentlich von Politik? Was von denen, die sie gestalten? Genügen uns die Lauten, die Schnellen, die Empörten?


Kamala Harris hat gezeigt, dass es auch anders geht. Dass leise Worte mächtig sein können. Dass politische Führung nicht heißt: dominieren – sondern: dienen.


Schau her, Donald – so geht Politik.

Und schaut her, Leute – so könnte Politik sein.

Wollen wir wirklich weniger?


Quellen & Hinweise:


Rede von Kamala Harris bei der Emerge America Gala, 30. April 2025 https://www.youtube.com/live/IkOocwNymA4?si=3GuwGsVdtqs6lh5u

Analyse zu Project 2025: The Guardian

Reaktionen Trumps auf Truth Social: Welt.de

Hintergrund zu Emerge America: https://emergeamerica.org


Bild: Ms Harris said she was inspired by the courage of Americans. (Reuters: Jungho Kim)



Kommentare