Der Blauwahl im Weißen Haus Teil 1
Warum Trumps elektrischblauer Anzug lauter brüllt als sein Regierungsprogramm – und was das mit Tyrannen, Theater und Thermolack zu tun hat.
Manchmal, wenn ich nachts nicht schlafen kann, denke ich über Mode nach. Nicht über Mode, wie sie in Paris getragen wird – das ist ja meist zu dünn, zu teuer oder zu durchsichtig. Nein, ich denke über Mode dort, wo sie nicht hingehört: in die Politik. Insbesondere in den elektrisierend aufdringlichen Farbton, den man bekommt, wenn man einen Kobaltbrocken in flüssigen Egoismus taucht: Elektroblau.
Diese Farbe schreit. Und zwar nicht: Ich bin stilsicher!, sondern:
Guck mal! Ich bin anders! Ich bin laut! Ich bin… wichtig!
Besonders laut schreit sie, wenn sie am Körper eines Mannes getragen wird, der aussieht, als hätte ein C-Promi einen Immobilienhai gefressen und wäre dann versehentlich zum Präsidenten verdaut worden. Ja, wir reden von Donald. Dem Trump. Dem Mann, dessen Krawatte so lang ist, dass sie sich wahrscheinlich beim Golfspielen um die Fußknöchel wickelt.
Doch zurück zur Farbe. Was hat es mit diesem grellen Blauton auf sich, der zuletzt auffällig oft in Washington zu sehen war? Ist das Zufall? Oder das Ergebnis eines geheimen Stil-Coups aus dem Keller eines MAGA-Thinktanks?
Die New York Times fragte sich kürzlich dasselbe. Ist das ein Trend? Ein modisches Signal, wie Soziologen sagen würden? Oder einfach nur die optische Entsprechung eines sehr lauten, sehr unangenehmen Meinungsaustauschs auf Twitter?
Nun – Kleider machen Leute. Aber manchmal machen Kleider eben auch Tyrannen. Oder umgekehrt. Mao wusste das. Fidel auch. Beide entschieden sich für Uniform. Grau, grün, funktional. Nicht wegen der Ästhetik – sondern weil der Mensch, der aussieht wie alle anderen, leichter zu führen ist. Und der Mensch, der sich auffällig nicht kleidet wie die anderen – der will führen. Ohne Diskussion.
Trump trägt also keinen Anzug.
Er trägt ein Kostüm.
Er ist nicht der Präsident – er spielt einen.
Und zwar in der grellen Sommerausgabe von Der starke Mann hat immer recht. Staffel 6.
Denn wenn du dich kleidest wie eine Leuchtreklame, wirst du auch so wahrgenommen: grell, penetrant und schwer zu ignorieren. Der elektrische Anzug ist also keine Modewahl. Es ist eine Strategie. Eine, die nicht fragt, ob sie dem Anlass angemessen ist – Papstbesuch, Beerdigung, Bankraub –, sondern nur: Wie viele Schlagzeilen kriege ich damit?
Soziologe Bourdieu würde sagen: Das ist „Distinktion“. Abgrenzung durch Geschmack – oder zumindest durch etwas, das aussieht wie Geschmack, wenn man schnell genug daran vorbeiläuft.
Psychologe Goffman? Der würde sagen: Das ist eine Rolle. Eine Inszenierung. Eine Bühne mit einem Mann, der sich selbst den Scheinwerfer hält und dabei ruft: Ich bin die Show!
Dabei ist das alles gar nicht neu. Wer auffallen will, zieht sich auffällig an. Ludwig XIV. machte es mit Goldbrokat, Berlusconi mit Bräunungscreme, Boris Johnson mit Haarturbulenzen – und Trump eben mit einem Blau, das aussieht, als hätte man einen Stromschlag in Stoff gegossen.
Und wie es sich für ein echtes Trumpeltier gehört, hat er sich von allen dreien etwas geborgt – ein modischer Frankenstein in Eigenmarke.
Die Haare: mal Orange, mal Blond, mal Boris.
Das Gold: vom Sonnenkönig, aber auch ganz konkret aus der eigenen Umbauwerkstatt.
Tatsächlich ließ Trump sein Büro in der Trump Organization vergolden – mit schweren Goldrahmen, überdekorierten Möbeln, kitschigen Figurinen aus der Abteilung „Barock trifft Wühltisch“. Ein bisschen Versailles, ein bisschen Schönbrunn, aber mit dem ästhetischen Feingefühl eines Duty-Free-Shops in Baku. Man erwartet jeden Moment Carmen Geiss, wie sie sich mit einem Blattgold-Schleifgerät die Nägel pfeilt.
Und ja, jetzt habe ich mich kurz in Gedanken verloren. Aber wir alle kennen diese B- und C-Promis, die glauben, Stil ließe sich mit Glanzspray und Goldlack erkaufen. Kunst kann Kitsch sein – aber Kitsch wird niemals Kunst. Und Geschmack braucht kein Preisschild.
Zurück zu Trump: Auch im Weißen Haus setzte er Akzente. Goldfarbene Vorhänge, teure Repliken, viel „Look at me“. Die visuelle Trumpifizierung des Oval Office. Mehr Optik, weniger Inhalt.
Und das Gesicht: ein Ton irgendwo zwischen Terracotta-Topf und Brathuhn im Endstadium – so künstlich, dass Berlusconi vermutlich blass geworden wäre. Wenn er es denn gekonnt hätte.
Trump ist kein Modemacher.
Er ist ein Stilmixer mit Diktatorenhintergrund.
Und was lernen wir daraus?
Wenn einer im Anzug erscheint und du dir unsicher bist, ob das nun ein Politiker, ein Zirkusdirektor oder ein Versicherungsvertreter ist – schau genau hin. Wenn der Anzug blau ist wie ein Atomkraftwerk unter LSD, die Krawatte aussieht wie ein Fluchtversuch und der Träger dazu grinst wie ein Kind, das den Schokoriegel geklaut hat – dann ist es kein Zufall. Dann ist es Politik.
Blau ist das neue Schwarz.
Und Trump ist der Pfau im Hühnerstall.
Lesefutter für tapfere Stilforscher:innen
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater
Susan Bordo: The Male Body
Valerie Steele: Fashion and Politics
NYT: https://nyti.ms/4epSRUs
Roland Barthes: Das System der Mode
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Texte: Franz Grolig – der Waldfranz – Inhaber von Waldpädagogik
Bildquelle: https://www.nytimes.com/2025/06/30/fashion/trump-suits-blue-bright.html?smtyp=cur&smid=fb-nytimes
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