Europa – Wache auf!
Der Endkampf des Trump-Lagers hat begonnen. Und seine Folgen werden auch uns treffen.
Eine Brandrede für die Demokratie.
Ich war immer ein Amerika-Fan. Nicht wegen Pathos, nicht wegen Flaggen, sondern wegen der Landschaften.
Über mehrere Aufenthalte hinweg habe ich insgesamt sechs Monate im Westen der USA verbracht – High Sierra, Yosemite, Tahoe, Nordkalifornien, Nevada, Utah, Oregon-Grenze. Orte, die mich geprägt haben. Orte, die für mich zu einer Art zweiter Heimat geworden sind.
Ich hatte heuer sogar eine Exkursion dorthin geplant. Ich wollte zurück in diese Landschaften, die mich geformt haben. Zurück zu Fels und Wald und Weite.
Und genau deshalb schreibe ich diesen Text.
Denn was nützt uns die schönste Natur, wenn die Demokratie, die sie schützt, zerfällt?
Was nützt ein Nationalpark, wenn die politische Architektur eines Landes sich vor aller Welt auflöst?
Was nützt Klimaschutz, wenn jene, die regieren, Demokratie als Hindernis und nicht als Grundlage betrachten?
Seit der Wahl 2024 schaue ich weniger Natur-Dokus und mehr Nachrichten.
CNN und PBS im gleichen Maß wie ZDF und ORF.
Ich schaue Fox News, weil man verstehen muss, was die andere Hälfte des Landes denkt.
Ich schaue ABC, MSNBC, lokale Stationen, Podcasts.
Und seit Wochen sehe ich etwas, das mich fast körperlich trifft:
Amerika zerlegt seine Demokratie nicht im Stillen –
Amerika zeigt den Zerfall vor aller Welt.
Öffentlich.
Lächelnd.
Unverblümt.
Zwei Videos. Zwölf Stunden. Eine Eskalation.
Innerhalb von zwölf Stunden spielte mir der Algorithmus zwei Videos zu.
Völlig unterschiedlich – und doch identisch in der Botschaft:
Legalität ist zweitrangig.
Macht ist alles.
VIDEO 1 — Tucker Carlson interviewt Nick Fuentes
Nick Fuentes ist kein kontroverser Provokateur.
Er ist ein Neonazi. Ein offener Antisemit. Ein Mann, der Frauen politische Existenzrechte abspricht. Ein „White Supremacist“ – also „Anhänger der weißen Herrenmensch-Ideologie“, der den Holocaust relativiert und Hitler als historischen „Lichtblick“ bezeichnet.
Und Tucker Carlson interviewt ihn so,
als würde er sich die Wettervorhersage erklären lassen.
Höflich. Ruhig. Ohne Widerspruch.
Fuentes spricht in antisemitischen Codes, in rassistischen Bildern, in offener Frauenfeindlichkeit –
und Carlson nickt, fragt nicht nach, normalisiert.
Das ist der Tabubruch.
Nicht, was Fuentes sagt – das war bekannt.
Sondern wie es präsentiert wird:
Ein Neonazi wird behandelt wie ein legitimer politischer Gesprächspartner.
Selbst rechtskonservative Stimmen warnen:
„Normalizing Nazism.“ – Ben Shapiro
→ „Er macht Nazismus salonfähig.“
„A spotlight without challenge.“ – National Review
→ „Eine Bühne ohne jede Gegenrede.“
interne Kritik sogar in der Heritage Foundation.
Wenn selbst konservative Schwergewichte Alarm schlagen,
dann weiß man:
Die Brandmauer ist nicht am Bröckeln –
sie wird eingerissen.
Und es passiert nicht schreiend.
Es passiert gesprächig.
Fuentes spricht von „organized Jewry“ („organisiertes Judentum“),
von „blood and soil“ („Blut und Boden“),
von Frauen als „ungleichwertig“.
Das alles bleibt stehen, unkommentiert.
So wird Extremismus nicht bekämpft –
so wird er sozialisiert.
VIDEO 2 — Lara Trump interviewt Karoline Leavitt
Karoline Leavitt ist nicht irgendeine Stimme.
Sie ist die Pressesprecherin des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Und sie sagt, ohne mit der Wimper zu zucken:
„We have three years in the Oval Office to do everything the American people want us to do.“
(„Wir haben drei Jahre im Oval Office, um alles durchzusetzen, was wir wollen.“)
Drei Jahre.
Nicht vier.
Warum?
Weil es um ein Zeitfenster geht,
in dem man die demokratische Architektur umbauen kann,
solange man noch im Weißen Haus sitzt.
Dann kommt der Satz, der politisch brisant ist wie Dynamit:
„Get rid of the filibuster now before the Democrats can do it.“
(„Schafft den Filibuster jetzt ab, bevor die Demokraten es tun.“)
Der Filibuster ist eine zentrale Regel im US-Senat:
Eine Art Minderheitenschutz, der für viele Gesetze 60 Stimmen statt 50 verlangt.
Wer ihn abschafft, beseitigt die letzte Bremse gegen Einparteienherrschaft.
Leavitt sagt das nicht schüchtern, nicht im Futur, nicht hypothetisch.
Sie sagt es als imperativen Befehl.
Das ist keine Analyse.
Das ist ein Umbauprogramm.
Dann der dritte Satz:
„The Democrats are terrified of democracy actually functioning.“
(„Die Demokraten haben Angst davor, dass Demokratie wirklich funktioniert.“)
In Wahrheit beschreibt sie die Angst des eigenen Lagers:
die Angst vor funktionierenden Kontrollen,
vor unabhängigen Institutionen,
vor Wechseln von Mehrheiten.
Die Angst vor Demokratie.
Diese drei Sätze –
ausgesprochen von der Sprecherin des Präsidenten –
sind nichts anderes als die Blaupause eines autoritären Endspiels.
Was sich hier zeigt, hat einen Namen: Endkampf.
Nicht historisch gemeint,
nicht als unzulässiger Vergleich,
sondern politikwissenschaftlich:
Endkampf = die Phase, in der eine Bewegung alle Hemmungen ablegt,
weil sie überzeugt ist, dass sie nicht mehr gestoppt werden kann.
• die Masken fallen
• die Codes fallen
• die Tarnungen fallen
• Macht wird offen eingefordert
• Opposition wird delegitimiert
• demokratische Regeln gelten nur noch, wenn sie nützen
Wir sind genau dort.
Warum Europa betroffen ist
Europa ist nicht Zuschauer.
Europa ist Resonanzraum.
Was in den USA passiert, landet Tage später:
• in FPÖ-Wortspenden
• in AfD-Kampagnen
• in Le Pen-Reden
• in italienischen Talkshows
• in Kommentarspalten unter ORF-Beiträgen
Dort liest man:
„Ein starker Führer muss her.“
„Biden hätte das nie geschafft.“
„Endlich einer, der durchgreift.“
Diese Sätze sind nichts anderes als importierte Propaganda.
Das ist kein Alarmismus.
Das ist Diagnose.
Ich kenne dieses Land.
Ich kenne seine Natur.
Ich kenne seine Medien.
Ich sehe, wie sich ein politisches Muster wiederholt –
laut, deutlich, enthemmt.
Europa – Wache auf.
Zwei Videos. Zwölf Stunden. Ein Kontinent in Gefahr.
Kurz.
Klar.
Ohne Pathos.
Ohne Wiederholung.
Mit der ganzen Schärfe, die nötig ist.
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© Franz Grolig – Waldfranz
Videoquellen
1. MeidasTouch – Analyse des Carlson–Fuentes-Interviews
https://youtu.be/_W2gXIFUf08?si=Ox6C-RCE7r9y0TIm
2. David Pakman Show – Analyse des Leavitt-Interviews
https://youtu.be/a4YjcsuZFTs?si=l0rEL6idFuegtik_

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